Presseinfo

Tapetenwechsel

Künstlertapeten aus der Sammlung Goetz

Presseinfo vom 16.02.2024

Ein spannendes Wechselspiel zwischen Interieur und Exterieur bietet das Koope­rationsprojekt der Sammlung Goetz mit dem Neuen Museum Nürnberg. In den sechs Fassadenräumen des Gebäudes präsentieren die beiden Institutionen Künst­lertapeten aus den Beständen der Sammlung Goetz. Sie entstanden zumeist im Zusammenhang mit raumgreifenden Installationen und werden auf jede Räum­lichkeit neu angepasst.

Die Gestaltung von Innenräumen mit Tapeten hat eine lange kulturgeschichtliche Tradition, die im Orient ihren Ausgang nahm. In Europa schmückten Adelige und reiche Bürger seit dem 14. Jahrhundert ihre Wände mit ornamentalen Stoff­tape­ten aus Samtbrokat und Damast, sowie goldgeprägten Ledertapeten.

Papiertapeten kamen im 16. Jahrhundert aus China. Sie wurden in Europa schnell populär, da sie einen raschen „Tapetenwechsel“ ermöglichten. Anfangs bestanden sie noch aus handgeschöpften Papierbögen, die aneinander geleimt und bedruckt wurden. Mit der Erfindung von seriell bedruckten Papiertapeten im 18. Jahr­hun­dert wurde diese Form der Wandgestaltung aber auch für ein breites Publikum erschwinglich.

Obwohl sich seitdem auch zahlreiche Künstler:innen vom Jugendstil, über das Bau­haus, der Pop Art bis hin zur Gegenwart der Gestaltung von Tapeten gewidmet haben, fand die Künstlertapete als eigenständiges Sujet bisher wenig Beachtung. Die Ausstellung Tapetenwechsel. Künstlertapeten aus der Sammlung Goetz bietet nun die Möglichkeit sechs unterschiedliche Entwürfe von Martin Boyce, Robert Gober, Rodney Graham, Andy Hope 1930, Abigail Lane und Sarah Lucas aus der Zeit von 1989-2009 aus unerwarteter Perspektive zu erleben. Durch die archi­tek­toni­sche Besonderheit des Neuen Museums gewährt sie die vergleichende Be­trach­tung der künstlerischen Positionen von außen durch die gläserne Fassade.

Präsentierte Künstler:innen und Werke

Die britische Künstlerin Sarah Lucas experimentiert mit der Umkehrung von Rollenzuschreibungen und hinterfragt so Machtstrukturen und Geschlech­ter­ver­hältnisse. Für ihre Objekte, Installationen und Fotografien verwendet sie all­täg­liche Dinge, die sie durch ihre Inszenierung sexuell auflädt. Zigaretten sind ein wie­derkehrendes Motiv in ihrem Frühwerk. Sie dienen als Verweis auf einen unan­gepassten Lebensstil. Auf ihrer Tapete mit dem humorvollen Titel Tits in Space (2000) hat sie auf einen schwarzen Untergrund Kugeln aus Filterzigaretten ge­druckt, die an weibliche Brüste erinnern. Das Muster ist im Zusammenhang mit einer Einzelausstellung in der Sadie Coles Gallery entstanden. Lucas hatte die Tapete als Hintergrund für die Präsentation von Objekten wie Stühle, Staubsauger oder Gartenzwerge genommen, die mit einer Schicht Filterzigaretten überzogen waren.

Weitaus provokanter scheint das Muster der Tapete von Robert Gober zu sein. Der amerikanische Künstler kombinierte das Motiv eines gehängten Schwarzen mit einem schlafenden weißen Mann. Gober hatte die Tapete Hanging Man / Slee­ping Man (1989) als Hintergrund für eine Ausstellung in der Paula Cooper Gallery in New York entworfen und anschließend für eine Doppel-Ausstellung mit Sherrie Levine im Hirshhorn Museum verwendet. Das Motiv des Gehängten stammt aus einem politischen Cartoon einer Bildersammlung der New Yorker Public Library, der Schlafende aus der Anzeige einer Sonntagszeitung für Bloomingdales. Mit dieser nicht weiter kommentierten Gegenüberstellung rührte Gober an tief­sit­zen­de Traumata der amerikanischen Gesellschaft. Einige der Mitarbeiter afrikanisch-amerikanischer Herkunft im Hirshhorn Museum empfanden die Darstellung als rassistisch und verletzend. Es kam zu einer Diskussion über den Kontext der Prä­sentation von Bildern, über Rassismus im kulturellen Bereich und Mög­lich­keiten mit diesem Teil der amerikanischen Geschichte umzugehen.

Eine herabwürdigende Szene aus einem illustrierten Kinderbuch aus dem 19. Jahr­hundert greift der kanadische Künstler Rodney Graham für seine Tapete City Self / Country Self (2001) auf. Sie zeigt einen elegant gekleideten Dandy, der ei­nem Mann aus der Provinz voller Verachtung in den Hintern tritt, sodass dieser seinen Hut verliert. Graham hat die Illustration zu einem Kurzfilm in der Art einer Slapstickkomödie angeregt, in der er sogar beide Rollen selbst spielt. Obwohl die Geschichte mit vielen anekdotischen Details erzählt wird, bleibt es im Unklaren, warum es zu dem Angriff kommt. Graham hat City Self / Country Self als Loop an­ge­legt, wie viele seiner Filme. Gefangen in einer Endlosschleife wiederholt sich die Szene ebenso, wie der Siebdruck der Kinderbuchillustration im Tapeten­muster.

Den direkten Bezug zum menschlichen Körper zeigt die Tapete Bottom Wallpaper (1994) von Abigail Lane. Sie besteht aus einer Reihe von Abdrücken eines Gesä­ßes, die direkt von der Haut auf das Papier übertragen wurden. Lane arbeitete für diese 1992-1997 entstandene Serie mit einem weiblichen Modell zusammen. Erst­mals ausgestellt waren sie 1992 in der Galerie Karsten Schubert in London. In spä­teren Ausstellungen wurden die Tapeten häufig auch in Zusammenhang mit Stühlen gezeigt, deren Sitzflächen durch eingefärbte Stempelkissen ersetzt wur­den. Diese Stühle verwiesen auf den kreativen Prozess, wie hier das Werk Inked Chair von 1996. Abigail Lane gehört ebenso wie Sarah Lucas zu den Young Bri­tish Artists, einer lockeren Gruppierung, welche die Kunstszene in London in den 1990er-Jahren prägte.

Die Tapete von Andy Hope 1930 ist in enger Verbindung zu seiner Einzel­aus­stel­lung 2009 in der Sammlung Goetz entstanden. Auf ihr sind 27 der Gemälde abge­bil­det, die sich zu diesem Zeitpunkt im Sammlungsbestand befanden. In der Ausstellung diente sie als Hintergrund für die Hängung genau dieser Bilder. Der Effekt war verblüffend, da sich dadurch eine neue Raumerfahrung eröffnete. Infinity Crisis nannte Hofer seine bildgewaltige Installation. Mit dem Titel bezieht er sich auf das gleichnamige Bild, das er in Anspielung auf die Comic-Serie Crisis on Infinite Earths gemalt hatte. Darin geht es um ein Multiversum, in dem unter­schied­liche Versionen von Planeten, ihren Bewohnern und den Superhelden exis­tieren. Der deutsche Künstler Andy Hope 1930 (alias Andreas Hofer) hat sich in seinem Werk von Comicfiguren und Science-Fiction Geschichten inspirieren las­sen. Er begeistert sich für Zeitreisen, fantastische Wesen, apokalyptische Visionen und hoffnungsvolle Utopien, in denen sich unterschiedliche gesellschaftliche Welt­vorstellungen spiegeln.

Minimalistisch wirkt hingegen die Tapete When Now is Night (1999) von Martin Boyce. Sie besteht aus einem gleichmäßigen Raster aus weißen, diagonalen und vertikalen Linien, das sich wie ein Gitter über den dunklen Untergrund legt. Da­hi­nter befindet sich eine weitere Ebene, in der ineinander verschachtelte, geo­me­trische Formen eine neue räumliche Dimension bilden. Der schottische Künstler bezieht sich in seinem Entwurf auf die Eröffnungssequenz des Alfred Hitchcock Films Der unsichtbare Dritte (North by Northwest, 1959), die der Grafikdesigner Saul Bass gestaltet hatte. Darin sieht man ein Liniengeflecht auf grünem Hinter­grund, das sich zunächst zu einem Raster verdichtet und sich im weiteren Verlauf in eine sich spiegelnde Hochhausfassade verwandelt. Durch diese Verbindung wird Boyce‘ Tapete zu einem Sinnbild für die Allgegenwärtigkeit von geo­metri­schen Formen in der modernen Welt. Das skulpturale und installative Werk von Martin Boyce ist von zahlreichen Referenzen geprägt. Im Zentrum steht die Aus­ein­andersetzung mit der Architektur, dem Design und der Kunst der Moderne. Boyce löst die Formen aus ihrem Kontext und stellt sie in einen neuen Zusam­men­hang.

Die Sammlung Goetz

Die Sammlung Goetz ist eine international bedeutende Sammlung zeit­genös­si­scher Kunst mit einem eigenen Ausstellungsgebäude in München. Sie wurde im Jahr 1993 gegründet und umfasst heute mehr als 5000 Werke aus nahezu allen künstlerischen Gattungen. Zu den Schwerpunkten gehören Arte Povera, ameri­kani­sche Malerei ab den 1980er-Jahren, Young British Artists, Medienkunst, Foto­grafie und Arbeiten auf Papier. Die Ausstellung Tapetenwechsel ist nicht das erste Kooperationsprojekt des Neuen Museums mit der Münchner Sammmlung Goetz. 2013 war in Nürnberg die Ausstellung When Now is Minimal. Die unbekannte Seite der Sammlung Goetz zu sehen, die in Kooperation mit dem Museion in Bozen konzipiert wurde. Sie konzentrierte sich auf künstlerische Positionen, dich sich mit dem Minimalismus auseinandergesetzt haben. 2014 folgte Die fabelhafte Welt der Laurie Simmons mit Werken der amerikanischen Fotokünstlerin zum 175-jäh­rigen Jubiläum der Fotografie. Mit der Ausstellung Tapetenwechsel. Künst­ler­ta­pe­ten aus der Sammlung Goetz setzt das Neue Museum die seit mehr als zehn Jahren bestehende Zusammenarbeit zwischen den beiden Institutionen weiter fort.

Kooperation

Die Ausstellung ist eine Kooperation des Neuen Museums mit der Sammlung Goetz.

Laufzeit

8. März bis 1. September 2024