Sie gehören zu London wie die Queen: Seit Jahrzehnten ist das Künstlerduo Gilbert & George (geb. 1943/1942) ein Aushängeschild der britischen Kunst. 1972, 1977 und 1982 nahmen sie an der documenta teil, 1986 wurden die beiden mit dem renommierten Turner Prize ausgezeichnet, 2005 vertraten sie Großbritannien auf der Biennale di Venezia und im Jahr 2007 ehrte sie die Tate Modern mit einer großen Retrospektive.
Stets formvollendet gekleidet stellten sich Gilbert & George von Anfang an selbst in den Mittelpunkt ihrer Kunst, die vor nichts zurückschreckt und keine Tabus kennt. Wo die humorvolle Provokation endet und ein verstörender Ernst beginnt ist bei dem Künstlerpaar, bei dem sich privater Lebensbereich und künstlerischer Ausdruck mischen, allerdings nie ganz klar.
Unter dem Titel Gilbert & George. Fuckosophy kann das Neue Museum dank der Sammler Kerstin Hiller und Helmut Schmelzer das Künstlerpaar mit vier Werken in Nürnberg vorstellen. Im Grunde ist es eine Wiederbegegnung, denn die beiden Künstler hatten bereits 1970 in der Kunsthalle Nürnberg einen vielbeachteten Auftritt als The Singing Sculpture anlässlich der Eröffnung der Ausstellung Das Ding als Objekt. Europäische Objektkunst des 20. Jahrhunderts.
Der nun im Neuen Museum präsentierte Film entstand 1991 in der Sonnabend Gallery in New York und zeigt die Performance so, wie sie ganz ähnlich zwanzig Jahre zuvor in Nürnberg stattgefunden hat. Von der originalen Nürnberger Aufführung existiert kein Filmdokument.
Auch in ihren großformatigen und in der Regel starkfarbigen Fotomontagen posieren Gilbert & George als Protagonisten provokanter Bildarrangements. So wenden sie sich gegen Homophobie, Diskriminierung und Rassismus, gegen Religion insgesamt, vor allem aber gegen Pietismus und Katholizismus. Spit Law von 1997 gehört zur insgesamt 30 Bilder umfassenden Serie der New Testamental Pictures. Offen bekennen sich die Künstler in diesem Tableau zu ihrer Homosexualität.
Das zweite großformatige Bild zählt zur Serie The Beard Pictures (2016) die aus insgesamt 173 Werken besteht. Die glattrasierten Künstler erscheinen in dieser Bilderreihe überraschend mit teils hypertrophen Bärten. Das Motiv des Bartes beschäftigt Gilbert & George sowohl als Attribut religiöser Autoritäten wie als stylishes Signum der jungen Generation.
Das titelgebende Werk Fuckosophy for All (2016) zeigt die Künstler in karikaturesker Überzeichnung mit riesigen Köpfen. Mit einem Streifen aus Stacheldraht am unteren Bildrand bringen die Künstler ihre Sorge um die in den USA und Europa grassierende Abschottungsmentalität an.
In hundertfachen Varianten greift auf zwei Wänden eine schwarz und rot bedruckte Tapete das böse F…-Wort auf. Für Gilbert & George ist diese Schimpftirade ein „great experiment in literature“. Für die Künstler bedeutet „Fuckosophy“ eine „Art von Utopie, wo du alles sagen kannst, was du willst.“