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Von der Stadt in die Küche und zurück

Interview mit der Künstlerin Lena Henke

Lena Henke

Man könnte sagen es war Liebe auf den ersten Blick, als Annette Stadler und ihr Sohn Leo 2016 in Basel Lena Henke und ihrem Werk das erste Mal begegneten. Die Künstlerin zeigte eine Reihe von Arbeiten in der Ausstellung MY HISTORY OF FLOW in den Räumen von SALTS. Wenige Monate später eröffnete Lena Henke eine Einzelausstellung im Kunstverein Braunschweig, mit dem Annette durch ihre Familie eine lange Geschichte verbindet. Seither ist eine enge Beziehung zwischen der Sammlerfamilie und der Künstlerin entstanden und Lena Henkes Arbeiten sind zu einem festen Bestandteil der Sammlung Stadler geworden. Im Interview mit Sophie Azzilonna spricht sie über ihr großes Interesse am Thema Stadt, sowie über ihre vergangene Ausstellung im Marta Herford und gibt uns einen Ausblick darauf, was wir 2024 Neues von ihr sehen werden.

Seit der Pandemie hat sich dein Leben eher in Berlin abgespielt. Eigentlich pendelst du aber zwischen Berlin und New York, beides wahnsinnig große und vielseitige Städte. Was ist für dich jeweils das Besondere und Inspirierende an ihnen?

 

Die Pandemie hat eine räumliche Erweiterung meines Schaffens bewirkt. Anders als vor der Pandemie habe ich nun zwei Studios: In New York und in Berlin. Ich brauche in der jetzigen Phase dieses Spannungsfeld, das sich allein aus der äußerlich spürbaren Gegensätzlichkeit der Städte ergibt. Eine grau hochgebaute Halbinsel - Manhattan - und ein zäher, weit zerlaufener Pfannkuchen - Berlin.

Meine ersten Ausstellungen in New York - das war 2011 - fanden in Küchen und Wohnzimmern statt. Die Küchen waren meine Studios, dort entstanden die ersten Skulpturen. In New York werden die Küchen sonst eh nicht viel genutzt. Man trifft sich nicht zu Hause, sondern auf der Straße oder in Cafés. Trotz Pandemie waren die Straßen Manhattans wichtige Orte für den Austausch. Bei Eröffnungen steht man auf der Straße und unterhält sich, bei Sample Sales winden sich die Modeinteressierten um mehrere Häuserblöcke. Ganz besonders sind die Block Partys im Sommer - da reißt mich der Wissensdurst der Kunstinteressierten mit. Welche Ausstellung lohnt es sich zu sehen, was sind die neuesten Gerüchte der Kunstszene, welcher Künstler, welche Künstlerin stellt wo aus. Diese Kompression von Interesse und Dialog - die ist für mich einmalig in New York. Mein zweites Studio in Berlin - übrigens inmitten des grünen Tiergartens gelegen - kommt mir da manchmal ganz gelegen, um konzentriert an neuen Ideen zu arbeiten.

 

Das Thema Stadtplanung bzw. der urbane Raum generell spielen eine große Rolle in deiner Arbeit. Was interessiert dich daran?

 

Architektur, das urbane Design der Straße, die sogenannten Public Places interessieren mich sehr stark. Dahinter steht die Frage, wie sie entstanden oder gewachsen sind bzw. aufgebaut wurden. Was sind funktionale Verschränkungen, was kommt neu dazu, was wird oder wurde wieder abgerissen. In New York ist das viel mehr ein permanenter Kreislauf der kreativen Zerstörung als anderswo. Der Denkmalschutz hat viel weniger Gewicht als das Bedürfnis der ständigen Häutung der Stadt, deren Lebenselixier der Wandel ist.

New York ist der ursprüngliche Stimulus dieser Leidenschaft. In Berlin geht es mir vor allem um die Geschichtsschreibungen des Modernismus und des Designs. In meinen jüngsten Skulpturen habe ich diese Geschichte erst vor kurzem aufgegriffen und neu erzählt. Das ist eine neue Interpretation einer gelebten und geschlechtlich determinierten Erfahrung.

Die Arbeit „City Lights - Dead Horse Bay“, die sich in der Sammlung Stadler befindet, thematisiert ebenfalls das Thema Stadt. Könntest du sie genauer beschreiben?

 

„City Lights - Dead Horse Bay“ ist Teil eines Werks, welches sich mit der schöpferischen Zerstörung befasst, die der Stadtplaner Robert Moses Mitte des 20. Jahrhunderts auf New York ausübte. Für viele Menschen und die Umwelt war das sehr prägend. Indem ich eine Miniaturstadtlandschaft auf einen Sockel stelle, der einem Pferdekopf gleicht, spiele ich auf die geisterhafte Vergangenheit der Dead Horse Bay in Brooklyn an. Dort wurde Dünger aus Tierkadavern hergestellt. Während des Baus der Park Marine Highway Brücke und anderer wichtiger Straßen nutzte Moses diese Deponie. Der Schutt der Gebäude, die in der Trasse der gigantischen Verkehrsprojekte lagen, wurden hier abgekippt. Und eben auch sehr viele persönliche Gegenstände, die die aus ihren Gemeinden Vertriebenen zurücklassen mussten.

Die Stadtlandschaft mit architektonischen Elementen von Manhattan umfasst auch mein Atelier und Miniaturen meiner Skulpturen, die als dichtes und dreidimensionales Selbstporträt fungieren. Darüber hinaus wird die pferdekopfförmige Insel durch architektonische "Utopien" aus verschiedensten Zeiten gefüllt, darunter ein surrealistischer mexikanischer Garten namens Las Pozas und das fantastische Sacro Bosco, das im 16. Jahrhundert in Norditalien gebaut wurde. Die Verkleinerung und Nachbildung dieser monomanischen Visionen lässt erahnen, wie mächtige Individuen - oft Männer - die Landschaft radikal formen und Leben wie auch Existenzgrundlage vieler Menschen massiv beeinträchtigen.

Du arbeitest mit einer großen Vielfalt an Materialien. Manche davon haben eine lange Tradition in der Kunst, wie Keramik oder Bronze. In deiner letzten Ausstellung im Marta Herford bringst du nun Autoreifen ins Museum. Was hat dich an diesem Material gereizt?

 

Zu Beginn meiner Karriere war ich, was klassisches Bildhauermaterial angeht, eher scheu. Industriell hergestellte Materialien wie bedrucktes Plastik, Teppichrollen oder Teerpappe haben mich viel mehr angezogen. Dann habe ich doch mal einen Keramikkurs gemacht und von dort aus war es gar nicht mehr weit zur Bronze. Im Moment verbinde ich unterschiedliche Materialwelten. In der Industrie ist das Thema Recycling hochaktuell. So ist z.B. die Arbeit im Marta Museum in Herford mit großer Unterstützung und im Dialog mit einem hessischen Wertstoffunternehmen entstanden, das unter anderem Autoreifen sammelt und dem Stoffkreislauf zuführt.

Deine Installation dort trägt den Titel „LHP7340“ und spielt damit auf die Küchenmöbel von Poggenpohl und Porsche-Design an.

 

Die schwarze Formation aus Autoreifen und Holzelementen, die den Raum dominiert, besteht aus etwa 2000 Reifen, die mit einer Recyclingpresse zu jeweils 120 x 100 x 80 cm großen und 600 kg schweren Kuben geformt wurden. Diese rücke ich zur 2007 von der Herforder Firma Poggenpohl in Kooperation mit Porsche-Design entwickelten „Küche für den Mann P7340” zusammen. Diese sollte mit der glatten, puren Ästhetik des Aluminiums und den dunklen Farben des Carbons ein „neues“ Klientel ansprechen.

 

Ich möchte das häusliche Umfeld auf das ultimative Freiheitsversprechen der Straße prallen lassen – die Küche und das Auto verbinden sich in dem Markenmodell ebenso wie in der neuen Installation. John Chamberlain hat ja auch mit zusammengepressten Autos gezeigt, wie die Formbarkeit nicht mehr verwendbaren Materials zu Minimal Kunst werden kann. In meinem Fall sind das die Kuben. Daraus ergibt sich eine Machtsymbolik der Zuordnungen von männlichen und weiblichen Rollen, die physisch nebeneinanderstehen. Antisinnliches, pures Material wird neu zusammengesetzt und durch weitere Kunstwerke ergänzt: Auf einem der vielen Kuben, sagen wir mal dem Küchentisch, läuft der Werbefilm „The Critic Laughs” von Richard Hamilton aus dem Jahr 1980. Er untersucht die Sprache von Design und befasst sich mit Entwürfen der Firma Braun. Das ist das reinste Spiel zwischen Küchenmöbeln, Skulptur und Display. Die Reifen gehen nach der Ausstellung übrigens wieder in den Recyclingprozess zurück.

Wie sieht denn deine Küche aus? Kochst du gerne?

 

Ich koche gut, mein Vater ist schließlich Lebensmitteltechnologe. In meinem Atelier bin ich aber so ausgelastet, dass mir oft die Lust zum Kochen fehlt. Umso mehr freue ich mich darüber, dass mein Mann sehr gerne kocht. Er hat die Küche sozusagen zu seinem Bereich erklärt. Die Küche ist eben ein faszinierender Ort. Sie kann Werkstatt, Brutstätte, aber auch Tatort sein. Die Küche war schon immer der wichtigste Raum einer Wohnung für Frauen. Nicht nur um die Familie zu ernähren, sondern auch als Begegnungs- und Versammlungsort, soziologisches Labor, vielleicht sogar der Konspiration. Der Schritt von der Hausfrau zur Alleskönnerin ist ja nur logisch, gerade weil momentan die der klassischen Moderne zuzurechnende Trennung verschiedener Lebensbereiche wieder ein stärker integrierendes Modell gegenübergestellt wird. Für eine Ausstellung in Berlin letztes Jahr habe ich deshalb eine neue Skulpturenserie entwickelt. Das Design der Haushaltsgeräte aus den 1950er Jahren - Symbole der technischen Aufrüstung in den Küchen - und das Berliner Hansaviertel - ein modernistischer Aufbruch der Nachkriegszeit - kommen hierin zusammen. Dazu gibt es auch eine beachtenswerte Publikation. Mich treibt die Frage um, was diese Ikonen des Haushalts - die Geräte der Firma Braun - versprochen haben und noch versprechen können.

Mehr über die Skulpturenserie und das Hansaviertel finden Sie unter Sammlungseinblicke.

 

Du wirst dieses Jahr eine Gastprofessur an der Kunsthochschule Linz übernehmen. Eine weitere große Aufgabe in deinem eh schon vollen Terminkalender. Wie bekommst du alles unter einen Hut – Was reizt dich an der Lehre besonders?

 

Selber lehren zu dürfen ist eine schöne Erinnerung daran, dass ich das Privileg genießen durfte, Meisterschülerin an der Frankfurter Staedelschule zu sein. Die kleine, aber nicht klassische Akademie mit weniger als 200 Studierenden ist so etwas wie eine Energiekapsel. Ein Kunstinkubator, in dem ich sechs Jahre lang gereift bin. Jedes Semester suchen die Studentinnen und Studenten dort Professorinnen und Professoren bzw. Künstlerinnen und Künstler weltweit aus, die eingeladen werden, um über ihr Werk und Schaffen zu sprechen. So bekamen wir einen hautnahen Überblick über Kunst und aktuelle Fragen. Wenn ich es schaffe, diese Atmosphäre - natürlich auch mein Wissen und weltweites Netzwerk - weiterzugeben, wird die Arbeit mit der Klasse in Linz eine dankbare Zeit werden.

 

Wer hat dich und dein Werk besonders geprägt?

 

Die wichtigste Künstlerin der 20. Jahrhunderts: Isa Genzken.

Parallel dazu planst du eine Ausstellung in der Galerie Emanuel Layr in Wien. Verrätst du schon, um was es gehen wird?

 

Ja, das gehört ja alles zusammen! Kommenden Frühling eröffne ich in der Tat meine dritte Einzelausstellung bei Emanuel Layr, eine Galerie, mit der ich schon lange und vor allem sehr gerne zusammenarbeite. Vielleicht werde ich die Ausstellung „Der gute Gott von Manhattan“ nennen, vielleicht aber auch „slash my tires…“. Das habe ich noch nicht entschieden. Es ist wichtig, von Zeit zu Zeit Raum frei zu lassen für Erneuerung, eben die schöpferische Zerstörung, mit der Manhattan in die Höhe gewachsen ist. Wir Künstlerinnen und Künstler sorgen dafür, dass es am Fuße der Türme nicht dunkel ist. Ich verrate, dass dieses Licht in den Räumen der Galerie zu sehen sein wird.

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