Im Fokus
von 04.11.2021 bis 08.01.2023

Übungen in Freiheit

Jarosław Koz­łowski und Chris­tine Mol­drickx

Zwischen Jarosław Kozłowski (geb. 1945) und Christine Moldrickx (geb. 1984) liegt mehr als eine Generation. An Lebensjahren hat René Block, aus dessen Samm­lung die Werke von Kozłowski und Moldrickx kommen, ‚seine‘ Künst­ler­innen und Künstler noch nie bemessen. Der ehemalige Fluxus-Galerist und welt­weit tätige Kurator schätzt Kunst, die nahe am Leben, am Alltag ist. Dies gilt ganz offensichtlich für die junge, in Amsterdam lebende Christine Moldrickx, dies gilt auf ganz andere Weise aber auch für den Altmeister der polnischen Konzeptkunst.

„This is not …“ heißt es immer wieder in einer Arbeit von Jarosław Kozłowski aus dem Jahre 1973, in der der Künstler den Realitätsstatus eines schwarzen Quadrats befragt. Die Verneinungsformel erinnert nicht zufällig an das berühmte „Dies ist keine Pfeife“ von René Magritte. Doch Jarosław Kozłowski ging weit über die Sprach­bilder des belgischen Surrealisten hinaus, als er in seinem Frühwerk lingui­stische und logische Modelle untersuchte. Er trug damit der Bedeutung von Sprache für die Konzeptkunst Rechnung und wurde zum „Grammatiker“ dieser Spielart der zeitgenössischen Kunst. René Block hatte den polnischen Künstler schon 1985 in der Berliner Galerie des DAAD vorgestellt. Erst vor kurzem präsen­tierte er ihn in seiner Kunsthalle auf der dänischen Insel Møen mit einer Arbeit von 2005, die nun nach Nürnberg geht. 15 an der Wand befestigte Teller mit Farb­pigmenten, darüber Tücher, die Spuren der entsprechenden Pigmente tragen, als hätte jemand daran seine Hände getrocknet. Zugeordnete Namen von Orten, an denen weltweit Massaker stattfanden, werfen die Frage nach der Unschuld auto­nomer Kunst, aber auch nach ihrem utopischen Potenzial auf: „There will be no Srebrenica“ etc.

„This is not …“ ließe sich auch von allen drei Objektkunstwerken von Christine Moldrickx sagen. Sie erscheinen wie alltägliche Dinge, ohne sie tatsächlich zu sein. Das Blatt aus der Süddeutschen Zeitung, das mit Vogelkot verschmutzt in einem Karton liegt, über dem eine Wärmelampe hängt, entpuppt sich als Zeich­nung. Der Pullover, der an einem Bügel frei im Raum schwebt, ist nicht aus flau­schiger Wolle. Es handelt sich um ein eisernes Kettenhemd, dessen Titel ihm einen absurden Zweck zuweist: Für die Schwerelosigkeit. Ebenso wenig hat ein an der Wand befestigtes, von der Künstlerin geformtes Becken mit Sanitärkeramik zu tun. Es ist vielmehr ein Ort des Übergangs in eine andere Welt. Die Künstlerin spricht von einem „liminal object“, also einem Schwellenobjekt. Das englische Substantiv „sink“ für „Waschbecken“ bedeutet als Verb so viel wie „versinken“. Erinnert das Abflussloch nicht an den Umriss eines Kopfes? Solche Ambivalenzen sind kennzeichnend für die Kunst Christine Moldrickx‘, die ebenso sinnlich prä­sent wie intellektuell herausfordernd ist.